Am 3. Juni 1998 ereignete sich in der Gemeinde Eschede das bis heute weltweit schwerste Unglück eines Hochgeschwindigkeitszuges. Der ICE „Wilhelm Conrad Röntgen“ entgleiste und krachte mit 200 Kilometern pro Stunde gegen einen Brückenpfeiler. Über viele Menschen brach durch diesen Unfall unfassbares Leid herein. 101 Menschen kamen ums Leben und 86 Personen wurden schwer verletzt.
Eine furchtbare Geschichte, die einmal mehr zeigt, wie viel Risiken moderne Technik birgt. Nachdem man mehr über dieses Ereignis erfahren hat, wird man sicher nicht mehr leichten Herzens auf so eine Reise gehen. Der ICE war auf der Strecke München – Hamburg unterwegs. Betrachten Sie mit uns die Chronologie dieses schicksalsschweren Tages.
1. München 5:45 Uhr
Am Bahnsteig 19 am Hauptbahnhof München steht der ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“ abfahrbereit. Das Ziel des Zuges ist Hamburg-Altona. Es wird ein warmer Tag werden, die Luft ist bereits um diese Uhrzeit 17 Grad warm. Es ist wolkig und bald wird es zu regnen beginnen. Am Bahnsteig verabschieden sich Familien. Männer und Frauen hasten mit ihren Koffern und Taschen zum Zug.
Während der Nachtschicht wurde der ICE vom Werk München gewartet. Später werden Zeugen zu Protokoll geben, dass während dieser Schicht eine größere Anzahl an Zügen zu überprüfen gewesen waren als üblich. Trotzdem hatte dieser Umstand keine Auswirkungen auf die Qualität der Arbeit gehabt. Ahnungslos machen es sich die Passagiere auf ihren Sesseln bequem.
2. Nürnberg 7:32 Uhr
Der ICE 884 verlässt den Bahnhof München fahrplanmäßig zunächst in Richtung München Pasing. Um 6:20 Uhr steigen neue Fahrgäste am Augsburger Hauptbahnhof ein. Der Zug fährt dann weiter nach Nürnberg. Da in Bayern Pfingstferien sind, steigen auch immer wieder Familien mit Kindern zu.
Passagiere hantierten mit ihrem Gepäck, dass ungesichert in Netzen über den Köpfen der Reisenden verstaut wird. Die nummerierten Sitzplätze werden gesucht, doch anschnallen kann man sich dort nicht. Um 7:36 setzt sich der ICE am Nürnberger Hauptbahnhof in Richtung Würzburg in Bewegung. Bis zum Unglück werden es noch 3 Stunden und 23 Minuten sein. Die Fahrgäste wiegen sich irrtümlicherweise in Sicherheit.
3. Hannover 10:33 Uhr
Um 10:33 Uhr fährt der Zug in Hannover ein. Zuvor hatte er in Fulda, Kassel und Göttingen Halt gemacht. Zwei Minuten später wird der Hochgeschwindigkeitszug schon wieder aus Hannover abdüsen. An Bord etwa 300 Fahrgäste die auf dem Weg in eine Katastrophe sind. Unvorstellbar, welches Trauma ein solches Ereignis in den Überlebenden und in den Angehörigen hinterlassen wird.
Um 10:37 ist plötzlich ein knirschendes Geräusch zu hören, verbunden mit einem heftigen Wackeln. Während sich die Passagiere erschrocken ansehen, nimmt die Katastrophe ihren ungebremsten Lauf. Am ersten Wagen ist ein Rad zersprungen und der ICE rast weiter. In 2 Minuten wird nichts mehr sein wie vorher.
4. Gemeinde Eschede 10:56 Uhr
Der Zug fährt 195 Kilometer in der Stunde, als der Radreifen zerbricht. Ein Teil des Stahls bohrt sich in den Radkasten. Ein anderes Objekt bohrt sich durch den Boden des Zuges. Im Moment fährt der ICE noch stabil weiter. Die Mitarbeiter des Werks in München hatten doch die Reifen geprüft. Später wird der Staatsanwalt feststellen, dass die Arbeiter gar nicht genug Kenntnis hatten, um diese Art Räder von Hochgeschwindigkeitszügen zu prüfen.
Ab 10:56 Uhr geschieht alles in Sekundenschnelle. Ein Schlag, ein lauter Knall und ein Scheppern sind zu hören. Der erste Wagen entgleist aufgrund des kaputten Radreifens und rattert über den Schotter.
5. Gemeinde Eschede 10:59 Uhr
Eine Weiche wird aus ihrer Befestigung gerissen. Ein Wagen kracht gegen die Pfeiler einer Brücke. 2 Arbeiter, die unter der Überführung stehen werden, getötet. Ein Wagen rast die Böschung hinunter. Die hinteren Zugwagons brechen aus. Die Brücke stürzt ein. Waggon Nummer 5 und 6 werden unter den Trümmern der Brücke begraben. Die anderen Wagons werden schwer beschädigt und wie bei einem Zollstock aufeinander gefaltet.
Unvorstellbare Szenen müssen sich in den Waggons abgespielt haben. Koffer und Menschen, die wie Geschosse durch die Abteile fliegen. Schreie und Panik von unfassbarem Ausmaß. Dann als das Unglück zum Stillstand kommt, die Suche nach Angehörigen, Schmerzen und Hilfeschreie. Im Ort Eschede heulen die Sirenen.
7. Eschede 11:00 Uhr
Um 11 Uhr melden Anwohner der Polizei ein Zugunglück. Notrufe gehen auch bei der Feuerwehr und anderen Rettungsdiensten ein. Anwohner eilen zur Unfallstelle, während in Eschede die Sirenen heulen. Erste Einsatzkräfte, die am Unglück ankommen, lösen aufgrund der Größe und Schwere des Unglücks Großalarm aus.
Ein Bild des Grauens breitet sich vor den Helfern aus. Die Feuerwehrleute müssen tote Menschen zur Seite räumen, um Verletzte zu bergen. Leichensäcke werden geordert, Hubschrauber fliegen Schwerverletzte aus und Anwohner helfen Leichtverletzte zu versorgen. Ein traumatischer Schock der von nun an für immer an den Überlebenden, den Angehörigen der Toten, den Helfern und dem ganzen Ort haften wird.
8. Eschede 12:05 Uhr
Um 12:05 Uhr treffen die ersten Rettungshubschrauber ein. Um 12:30 Uhr wird aufgrund des Ausmaßes des Unglücks Katastrophenalarm ausgelöst. Bis 13 Uhr sind alle Verletzten geborgen. Man beginnt dann damit die Todesopfer zu bergen. Die Bergungs- und Rettungsmaßnahmen sind zwar gut organisiert, jedoch gibt es Probleme bei der Identifikation der Opfer.
Im Zugabteil sitzend trugen die meisten keine Papiere bei sich. Listen wie es bei Flügen üblich ist, werden von der Bahn nicht geführt. Es gibt daher Angehörige, die lange Zeit in großer Ungewissheit über das Schicksal ihrer Liebsten ausharren müssen. Ein Krisenteam gibt sein bestes, um psychologische Unterstützung zu bieten. Ein dreijähriges Programm zur Verarbeitung der Katastrophe wird begonnen. Um 18 Uhr findet eine Pressekonferenz statt, bei der von 100 Toten ausgegangen wird.
9. Die Tage danach
Kräne und Panzer beginnen mit den Aufräumarbeiten. Am Tag nach dem Unglück besuchen der damalige Bundeskanzler Kohl und Gerhard Schröder den Unfallort. Während ein Gottesdienst im Gedenken an die Opfer stattfindet, werden erstmals Gerüchte über ein gebrochenes Rad als Unfallursache genannt.
Doch es war nicht nur ein Rad gebrochen, es waren Familien zerrissen worden und Kinder hatten ihre Mutter verloren. Während am 10. Juni von 101 gestorbenen Opfern berichtet wird, konnte das Leid das hereingebrochen ist nicht in Zahlen gefasst werden. Eine zentrale Trauerfeier wird es am 21. Juni in Celle geben. Spuren werden inzwischen gesichert, Kränze niedergelegt und ganz Deutschland befindet sich in Schockstarre.
10. 21. Juni 1998
Das Foto zeigt den damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder mit seiner Ehefrau Doris Schröder-Köpf auf dem Weg zum Unfallort. Während der offiziellen Trauerfeier bedankt sich Bundespräsident Werner Herzog bei den unermüdlichen Helfern. Nicht nur Ärzte, Hubschrauber und Rettungswägen waren im Einsatz gewesen, 1.900 Helfer hatten ihr Bestes gegeben. Zahlreiche Rettungsfachleute, Anwohner und sogar britische Soldaten hatten versucht zu helfen.
Der Unglückszug ICE 884 war mit etwa 195 Kilometer pro Stunde Geschwindigkeit entgleist. Für die Passagiere kam das einem Sturz aus 160 Meter Höhe gleich. Für viele Fahrgäste kam jede Hilfe daher zu spät. Während der Schock auch bei den Verantwortlichen tief saß, wurde nach der Ursache der Katastrophe geforscht.
11. Narben die nie verheilen
Auf der Suche nach Verantwortlichen für die Katastrophe werden drei Ingenieure angeklagt. Das Verfahren wird jedoch im Jahr 2003 eingestellt. Im Jahr 2013 entschuldigt sich die Deutsche Bahn für Fehler und das entstandene Leid. In Eschede erinnern 101 Kirschbäume, eine Gedenktafel und ein Tor an die Opfer des Unglücks.
Der Torbogen bei der Gedenkstätte ist mit folgender Inschrift versehen: „Das Unglück hat die menschliche Zerbrechlichkeit, Vergänglichkeit und Unzulänglichkeit gezeigt“. An diesem Ort gedenken an jedem Jahrestag, die Hinterbliebenen, die Anwohner und auch Politiker dem schrecklichen Ereignis. Der Ort Eschede wird sei über 20 Jahren von sensationsgierigen Touristen besucht. Ein Umstand der diesem unfassbaren Unglück sicher nicht gerecht wird.