Manchmal muss man sich unsichtbar machen, um zu überleben. Im März des Jahres 1942 fährt das niederländische Minenabwehrboot „Hr. Ms. Abraham Crijnssen“ auf einer Mission durch die Javasee, um die damalige Kolonie Niederländisch-Ostindien (heute Indonesien) zu verteidigen.
Doch wenige Tage zuvor hatte die „Kaiserlich Japanische Marine“ fast die gesamte alliierte Flotte, zu der auch die Abraham Crijnssen zählte, vernichtet. Als letzter Ausweg und Fluchtmöglichkeit bleibt dem Schiff die Seeroute nach Australien, doch die nicht ausreichende Bewaffnung und zu geringe Geschwindigkeit drohen die Überfahrt zum Fiasko und unkalkulierbaren Risiko zu machen.
In ihrer Not kam der Besatzung schließlich die rettende Idee, das Boot mit ausgeklügelter Tarnung fast unsichtbar zu machen.
1. Die alliierte Flotte befand sich zu diesem Zeitpunkt nahezu in Auflösung
Die Besatzung der Abraham Crijnssen hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche schwere Feindkontakte im seit Ende 1941 in fast ganz Südostasien tobenden Pazifikkrieg zwischen den Achsenmächten Deutschland, Italien und Japan sowie den Alliierten USA, UdSSR, Großbritannien und China hinter sich.
Ein Zentrum der Kämpfe war Ende Februar 1942 Niederländisch-Ostindien. Besonders verlustreich für die „ABDA-Flotte“ aus australischen, britischen, niederländischen und US-amerikanischen Schiffen wurde die Schlacht in der Javasee am 27. und 28. Februar.
Nach dem Scharmützel besetzten die Japaner die Insel Sumatra und in der Schlacht in der Sundastraße am 28. Februar und 1. März wurde viele weitere alliierte Schiffe versenkt.
2. Zwei Jahre nach Kriegsbeginn nahm das Töten noch einmal Fahrt auf
Schon der Auftakt des Pazifikkrieges durch den Überraschungsangriff der Japaner auf die Pazifikflotte der USA in Pearl Harbor auf Hawaii am 7. Dezember 1941, bei dem die US-Marine viele Schlachtschiffe und Kampfflugzeuge verlor und 3.500 Tote und Verletzte zu beklagen hatte, war äußerst blutig verlaufen.
Der hierdurch ausgelöste Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg sollte diesem schnell eine neue Dynamik verleihen. Zur gleichen Zeit begann auch die groß angelegte Offensive der Japaner in Südostasien: Sie besetzten die Philippinen und Thailand und versenkten die beiden britischen Schlachtschiffe „Prince of Wales“ und „Repulse“ am 10. Dezember 1941 vor der Malaien-Halbinsel.
3. Die indonesische Schatztruhe der Niederlande wurde von Japan sehr begehrt
Eines der strategischen Hauptziele der japanischen Offensiven im Pazifikkrieg war die an Bodenschätzen wie Erdöl und Rohstoffen wie Kautschuk reiche niederländische Kolonie Ostindien.
Das Gebiet wurde wegen seines Reichtums an natürlichen Ressourcen als vorrangiges Ziel betrachtet, da der zuverlässige Nachschub mit diesen für die Japaner zur Aufrechterhaltung ihrer Kriegsanstrengungen unerlässlich war. „Nederlands-Indië“ als der seit 1799 unter niederländischer Herrschaft stehende Vorläufer der heutigen Republik Indonesien war auch aus geografischen und strategischen Gründen ungemein bedeutsam.
Die gut 17.000 Inseln sollten japanischen Einheiten als Bollwerk gegen australische Angriffe dienen. Am 11. Januar 1942 erklärte das Kaiserreich Japan den Niederlanden den Krieg und die Kämpfe begannen.
4. Den besiegten Niederländern blieb nur die Flucht nach Ceylon (Sri Lanka).
Die unter Militärhistorikern auch als Operation „J“ bekannte japanische Invasion von Java ab dem 1. März 1942 verlief außerordentlich systematisch und war von den nur mangelhaft ausgebildeten sowie relativ schlecht bewaffneten 85.000 Soldaten der niederländischen Kolonialarmee „Koninklijk Nederlandsch-Indisch Leger (KNIL)“ trotz größer Anstrengungen nicht zu stoppen.
Nach der Landung der japanischen Armee bei Merak und Kragan sorgten vor allem die erneut hohen Verluste bei den Alliierten in der zweiten Schlacht in der Javasee am 1. März 1942 für allgemeine Demoralisierung der Truppen und bedeutende Geländegewinne der Japaner. Von den insgesamt nur etwa 800 Überlebenden starben anschließend 190 in japanischer Kriegsgefangenschaft.
5. Die japanische Invasion war mächtig und auch durch Kraftakte nicht aufzuhalten
Die fast schon unheimlich effektive Art und Weise des japanischen Vormarsches wurde von Zeitzeugen mit den Tentakeln eines Tintenfisches verglichen, die dem Gegner immer nur kleine, aber sehr schmerzhafte Stiche zufügten, ohne sich jemals selbst die Blöße zu geben.
Hinzu kam, dass die Taktik der Niederländer nicht ausreichend durchdacht war und viele Brücken, die eigentlich vor dem japanischen Einmarsch zerstört werden sollten, so hastig auf Sprengungen vorbereitet worden waren, dass die Ladungen nicht explodierten oder gezündet werden konnten. Am 3. März eroberten die Japaner in der „Operation X“ die australische Weihnachtsinsel (Territory of Christmas Island) im Süden von Java gelegen.
6. Ein einsames Schiff ganz auf sich alleine gestellt
Der verheerende Luftangriff japanischer Kampfflugzeuge auf den Flughafen Broome im Bundesstaat Western Australia ebenfalls am 3. März, ein erneuter Fliegerangriff gegen Pearl Harbor am 5. März und die Landung japanischer Truppen auf Neuguinea am 8. März ließen die Alliierten weiter verzweifeln.
Den Befehlshabern wurde nun schmerzlich bewusst, dass sie den Japanern nach dem nahezu vollständigen Verlust ihrer Flotte zur See nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Die „ABDA-Flotte“ existierte nicht mehr, schon am 2. März zogen sich die letzten Schiffe unter Leitung des niederländischen Admirals Helfrich nach Ceylon zurück. Zu dem Konvoi sollte auch die „Abraham Crijnssen“ stoßen, die aber den Anschluss verpasste.
7. Ein „Himmelfahrtskommando“ quer durch die feindlichen Linien
Das von der Schiffswerft Gusto in Schiedam im März 1936 gebaute, 525 Tonnen schwere und 56 Meter lange und auch als Minenleger nutzbare Minensuchboot gehörte zur Jan van Amstel-Klasse und wurde nach dem niederländischen Kommandanten Abraham Crijnssen benannt.
Nachdem drei Schwesterschiffe vorher versenkt wurden, damit sie nicht den Japanern in die Hände fielen, erhielt das Boot über Funk den Befehl, unter Leitung von Leutnant Anthonie van Miert ganz alleine nach Australien zu fahren.
Das Boot wurde in Tarnfarben gestrichen und mithilfe von Netzen, Ästen und Pflanzen als tropische Insel getarnt. Am 6. März lief die „Abraham Crijnssen“ von Surabaya nach Australien aus.
8. Geschickte Manöver und Kokosnüsse brachten den Erfolg
Am Morgen des 7. März beschloss der Kommandant der „Abraham Crijnssen“ in der Nähe der Gili-Inseln in der Balisee vor der Insel Lombok zu ankern. Auf dem Eiland Gili Getting wurden die Vorräte aufgefüllt und die Tarnung aktualisiert bzw. verbessert.
Durch das Segeln in der Nacht und das Ankern am Tag wurde am 9. März über Sapoedi Soembawa (Kleine Sundainseln) erreicht. Dort gingen Besatzungsmitglieder an Land, um Kokosnüsse zu laden.
An selben Abend wurde die Meerenge von Alas ohne Probleme durchquert, woraufhin das Boot im Indischen Ozean war und in einem Stück ohne Angriffe seitens der Japaner weiter nach Australien fahren konnte.
9. Einfallsreichtum und Glück gingen bei dem Plan Hand in Hand
Am 9. März 1942, als das Boot seinen Weg durch den Pazifik suchte, erfolgte auch die bedingungslose Kapitulation und Übergabe Niederländisch-Indiens an Japan. Bis heute ist die so erstaunliche Geschichte der wagemutigen Flucht der „Abraham Crijnssen“ mitten durch feindliche japanische Linien ein in militärischen Standardwerken zur Kriegsführung auf See häufig zitiertes Musterbeispiel für unkonventionelle Maßnahmen.
Hätte auch nur ein einziges japanisches Flugzeug das Boot während seiner abenteuerlichen Fahrt durch die indonesische Inselwelt entdeckt und Kampfschiffe zur Verstärkung geordert, wären dessen Überlebenschancen wohl gleich null gewesen. Die gelungene Tarnung als Insel ist eine kaum ausreichend angemessen zu würdigende taktische Meisterleistung.
10. Schützen Zebrastreifen wirklich Schiffe vor Beschuss?
Interessanterweise hatten Methoden zur möglichst guten Tarnung von Schiffen Experten schon im Ersten Weltkrieg nachhaltig beschäftigt und vor große Probleme gestellt. Man war jedoch auf die nicht nur auf den ersten Blick recht merkwürdig anmutende Lösung gekommen, die Schiffe eher noch auffälliger als unauffälliger zu machen.
Diese seltsame Strategie wurde vom britischen Künstler und Marinesoldaten Norman Wilkinson erdacht und bald als Blendtarnung bekannt. Gezackte und großflächige geometrische Formen in leuchtenden Farben auf den Schiffen sollten die deutschen U-Boot-Kapitäne verwirren und verhindern, dass die für britische „Royal Navy“ gefährlichen Torpedos ihre Ziele fanden. Die USA experimentierten ebenfalls mit dieser häufig zu Recht angezweifelten Bemalung.
11. Mitunter sind Verzweiflung und Zeitdruck gute Verbündete in Notfällen
Angesichts ihrer mehr oder weniger vollständig aussichtslosen Lage und aufgrund der allgegenwärtigen japanischen Übermacht war die Besatzung der „Abraham Crijnssen“ also gezwungen, so schnell wie möglich eine Idee für eine Tarnung ihres Bootes zu finden.
Da sie weder die notwendige Farbe noch Zeit für einen langwierigen Komplettanstrich hatten, der darüber hinaus auch nur wenig hilfreich und vielversprechend erschien, machten sie aus der Not eine Tugend und nutzten eben die Ihnen in Mengen zur Verfügung stehenden Materialien, um das Boot so gut wie möglich vor feindlichen Flugzeugen und Fernrohren zu tarnen und damit auch vor den wahrscheinlich tödlichen Bomben zu schützen.
12. Die Natur hält häufig die besten Ideen parat
Die 45 Marinesoldaten hackten in der tropischen Hitze mit allem, was sie hatten alles ab, was sie fanden und brachten das Grünzeug zum Schiff und befestigten es an dessen Aufbauten.
In der Zwischenzeit wurden die vom Laub freigelegten Teile des Schiffes grau angestrichen, um auf diese Weise den Eindruck von Geröll, Felsen und Steinen inmitten eines üppigen Dschungels zu vorzutäuschen.
Im Grunde genommen war die scheinbar so idiotische Idee schlicht und ergreifend genial, sind die meisten Inseln in der Javasee doch mit dichtem Dschungel bewachsen und auch in vielen Größen sowie Formen vorhanden, sodass eine sehr kleine „bewaldete“ Fläche nicht auffällt.
13. Das legendäre Boot hat heute einen verdienten Ehrenplatz im Museum
Am 15. März kam die „Abraham Crijnssen“ in Australien an. Dort diente sie bis zum 16. August 1942 als Patrouillenschiff. Vom August bis Mai 1943 stand die „Abraham Crijnssen“ im Dienst der australischen Marine und nach der Rückkehr in den niederländischen Dienst bis 1945 diente das Boot wieder als Patrouillenschiff.
Am Anfang von Juni 1945 verließ es Sydney mit dem Auftrag, ein holländisches U-Boot zu schleppen, was aber misslang. Bis 1949 folgte die Nutzung als Minenräumer, nach der Rückkehr in die Niederlande wurde es bis 1961 für Ausbildungszwecke genutzt. Seit 1997 kann das Boot im Marinemuseum von Den Helder besichtigt werden.