Wohin führt Tierliebe ohne Grenzen?

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Ana Julia Torres leitet das Tierheim „Villa Lorena“ im Herzen Kolumbiens. Die 50jährige Frau hat sich zum Ziel gesetzt, Tiere in Not zu retten. In ihrem Land gibt es unzählige verwahrloste Hunde und Katzen. Hinzu kommt eine einzigartige Vielfalt an exotischen Tieren, die gefangen oder misshandelt werden. Immerhin wurde in diesem Jahr die Hobbyjagd in Kolumbien gesetzlich verboten. Frau Torres beherbergt in ihrer Auffangstation 900 Tiere. Tukane, Wildschweine, Hirsche, Affen und Faultiere werden von ihr gesund gepflegt. Nach ihrer Genesung werden die Tiere wieder in die Wildnis entlassen.

Es gibt jedoch Tiere, die sind zu gefährlich und zu groß, um sie in der „Villa Lorena“ unterzubringen. Aber das warme Herz von Ana Julia Torres kennt keine Schranken. Ihr werdet es nicht glauben, wer der nächste Bewohner des Tierheimes werden wird. Wird Ana ihre grenzenlose Tierliebe eines Tages zum Verhängnis?

1. Ein Löwe ist kein Haustier.

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2018 wurde der Tag des Artenschutzes den Großkatzen gewidmet. Es ist eine Tatsache, dass der natürliche Bestand an Tigern, Leoparden und Löwen jährlich abnimmt. Nur noch 20.000 Löwen leben in Freiheit. Vor allem die männlichen Tiere mit ihrer prachtvollen Mähne sind beliebte Jagdtrophäen. Dieser Fakt lässt das Herz jedes Tierfreundes und auch das von Frau Torres bluten.

Wir wissen jedoch, dass Löwen gefährliche Raubkatzen sind. Sie werden Könige der Tiere genannt. Seit Urzeiten werden diese Tiere für ihre Kraft und Stärke bewundert und gefürchtet. Hauptsächlich leben Löwen in der Savanne Afrikas. Frau Torres wird kaum einem solchen Tier in Kolumbien über den Weg laufen und falls doch, sollte sie besser ihre Finger davon lassen.

2. Der Löwe Jupiter.

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Tatsächlich findet Ana bei einem Ausflug einen Löwen! Sie traut ihren Augen nicht und es berührt ihr Herz, als sie dieses Krafttier auf dem Boden liegen sieht. Die Fellfarbe fahl, die Mähne spärlich und ein tieftrauriger Gesichtsausdruck kennzeichnen diesen Löwen. Selbst ein absoluter Laie würde sofort erkennen, in welch erbarmungswürdigem Zustand diese Raubkatze ist.

Was war geschehen? Wie konnte dieses Tier in eine solche Verfassung geraten? Kann dieser Löwe noch gerettet werden? Frau Torres findet keinen ruhigen Gedanken mehr. Ganz selbstverständlich wendet sie sich dem Löwen zu, als sei er ein Äffchen, ein Hund oder ein Wildschwein. Schnell findet Ana heraus, wie der Löwe namens Jupiter so krank werden konnte.

3. Ein Zirkuslöwe.

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Frau Torres hat einen Zirkuslöwen gefunden. Jahrelang war er vorgeführt, gepeitscht, dressiert und gequält worden. Es ist völlig klar, dass kein Raubtier freiwillig Männchen macht oder durch einen Feuerreifen springt. So mancher Zirkus bemüht sich aber um ausreichend Futter, große Käfige und Belohnungen für die Tiere. Jupiter hatte jedoch ein sehr schlechtes Los gezogen. Er war bis zur völligen Erschöpfung drangsaliert worden.

Ana will unbedingt einen Weg finden Jupiter zu helfen. Völlig unerschrocken begibt sie sich in den Käfig. Sie ist sich sicher das Richtige zu Tun. Ihr Gewissen und ihre tierliebe Haltung lassen ihr keine andere Wahl. Daran, ob das eine gute Idee ist, oder ob ihr das jemals gedankt wird, denkt unsere Heldin in diesem Moment nicht.

4. Rettet diesen Löwen.

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Als leidenschaftliche Tierschützerin ist sich Ana sicher, über genug Erfahrung und Wissen zu verfügen, um dem Tier helfen zu können. Bei ihrer Mission hat sie das Bild eines stolzen Rudeltiers vor Augen, das die Savanne durchstreift. So und nicht anders sollte ein Löwenleben aussehen!

Statt hingeworfene Fleischbrocken zu verschlingen, sollte Jupiter Antilopen, Gazellen, Gnus und Zebras jagen. Ana weiß einiges über Löwen; – zum Beispiel, dass hingegen landläufiger Meinung auch männlichen Tiere für Nahrung sorgen. Ist sich Ana sicher, dass ihr der Löwe, der zu den „Big Five“ der Wildtiere gehört, nicht gefährlich wird? Geht sie bei ihrer Mission ein zu hohes Risiko ein?

5. Jupiters trauriges Leben.

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Anas Untersuchungen ergeben: Jupiter ist unterernährt und er zeigt deutliche Spuren von Misshandlung. Zudem ist er so alt, dass der Zirkus ihn dringend loshaben will. Wie jedes traumatisierte Tier zeigt Jupiter deutliche Verhaltensstörungen. Ihm zu helfen wird keine leichte Aufgabe für unsere Tierschützerin. Frau Torres möchte Jupiter aber noch zu ein paar schönen Lebensjahren verhelfen.

In fast allen europäischen Ländern haben Wildtiere Manegen Verbot. Auch bei den Zuschauern finden die Dressurnummern kaum noch Akzeptanz. Dies hat einen guten Grund: Tiere werden meist sehr beengt gehalten und bis zum letzten Lebenshauch ausgenutzt. In ihrem natürlichen Lebensraum sind Löwen sehr aktiv und leben in Rudeln. Jupiter lebte allein und beengt hinter Eisengittern.

6. Einen Löwen pflegen.

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Tiere erspüren die Gesinnung mit der ein Mensch ihnen gegenüber tritt. Dies ist bei Löwen nicht anders als zum Beispiel bei Hauskatzen oder Hunden. Ist das der Grund weshalb Ana das Vertrauen des Löwen Jupiter gewinnt? Es gelingt ihr sogar, ihn in einem Van zum Tierarzt zu transportieren. Erstaunlicherweise kommt Jupiter in der Villa Lorena sehr schnell zu neuen Kräften.

Die Tierschützerin hat große Kosten: Medikamente, Tierarztrechnungen und eine riesige Menge an Futter. Ein Löwe frisst 35 kg Fleisch pro Mahlzeit. Ana nimmt dies gern in Kauf. Jupiter ist wie ihr Baby. Sie schenkt ihm ihre ganze Fürsorge und Liebe. Zwischen den beiden ist ein inniges Verhältnis entstanden. Doch Jupiter ist ein durchaus gefährliches Raubtier, dies sollte Ana nicht vergessen.

7. Wieder bei Kräften.

Nach einem Monat intensiver Zuwendung und medizinischen Behandlungen ist Jupiter wieder deutlich aktiver geworden. Fell und Mähne glänzen. Ana freut sich. Die Rettungsmission ist ein voller Erfolg. Die Tierschützerin ist sich bewusst, dass die Villa Lorena auf Dauer nicht genug Platz für einen Löwen bietet. Sie muss ein neues, artgerechtes zu Hause für Jupiter finden. Der Löwe ist zu alt, um ihn in der Wildnis auszusetzen. Was nun?

Es ist nicht leicht eine neue Unterkunft für Jupiter zu finden. Die Tierschützerin will ihren Schützling nur in gute Hände übergeben. Frau Torres fühlt sich wie eine Mutter, deren Kind das schützende Nest verlässt.

8. Ein neues Zuhause für Jupiter.

Ein Zoo könnte eine Lösung sein. Ana Julia Torres möchte sich versichern, dass Jupiter artgerecht gehalten wird und ihm genügend Auslauf zur Verfügung steht. Nach etlichen Telefonaten findet sie einen Tierpark, der bereit ist ihren Schützling aufzunehmen. In weiteren Gesprächen klärt sie ab, dass der Löwe hier gut aufgehoben sein wird.

Nur einen Monat hat Jupiter in der Villa Lorena verbracht, doch dieser Aufenthalt hat die beiden zusammen wachsen lassen. Es fällt der Tierschützerin wirklich nicht leicht den Löwen in andere Hände zu geben. Telefonate mit den Tierpflegern im Zoo beruhigen sie. Der Löwe gewöhnt sich schnell ein, er verträgt sich mit seinen Artgenossen und es geht ihm gut.

9. Jupiters neues Leben.

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Was für ein Gedächtnis haben Löwen? Darüber macht sich kaum jemand Gedanken. Es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass Jupiter sich an Ana erinnern kann. Elefanten erinnern sich an Wasserlöcher und Eichörnchen an vergrabene Nüsse. Aber könnt ihr euch vorstellen, dass sich ein Löwe an einen Menschen erinnert, bei dem er nur einen Monat verbracht hat? Sicher hat Jupiter Frau Torres und die Villa Lorena längst vergessen.

Gewiss ist, unserem Löwen geht es nun gut. Es vergehen acht Jahre bis Jupiter seine Lebensretterin wieder sieht. Frau Torres hat viele Tiere zu betreuen, aber es lässt ihr keine Ruhe sie reist durch ganz Kolumbien, um nach ihrem Löwen zu sehen.

10. Die Attraktion des Zoos.

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Wir werden gleich sehen, wie Ana Julia Torres ihrem Löwen wieder begegnet und was dann unglaubliches geschieht. Zuvor betrachten wir Jupiters Entwicklung seit der Zirkusgefangenschaft noch einmal genau. Seine Mähne ist lang und dunkel geworden. Bei männlichen Raubtieren ist der Zustand der Mähne ein Indiz für die körperliche Verfassung. Kastrierte Löwen verlieren zum Beispiel ihr Kopffell fast vollständig. Jupiter geht es demnach prächtig.

Für den Zoo ist unser kraftvolles Tier eine Attraktion. Die Besucherzahlen haben deutlich zugenommen, seitdem Jupiter stolz und manchmal träge im Gehege herumspaziert. Für den Tierpark ist es ein Zuschauermagnet, dass man die Raubtierfütterung miterleben kann. Jupiter hat dabei stets großen Appetit.

11. Hände weg vom Schutzgitter!

Das Herz unserer Tierschützerin ist ergriffen. Ihr Schützling hat sich bestens entwickelt und es geht ihm gut. Trotz aller Sicherheitshinweise klettert Frau Torres über den Zaun und den Graben, der die Besucher zusätzlich von den Raubtieren trennt. Ein solches Verhalten ist sehr riskant. Ana Julia Torres begibt sich in Lebensgefahr, um Jupiter näherzukommen. Sie möchte von ihm erkannt werden.

Obwohl sie sich des Risikos bewusst ist, legt sie die Hände auf das Gitter des Geheges. Sie bewegt sich dabei sehr vorsichtig und langsam. Sie möchte Jupiter nicht erschrecken. Eine ruckartige Bewegung könnte der Löwe falsch deuten. Wir hoffen, dass dies nicht geschieht.

12. In Gefahr!

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Jupiters Bewegungen sind kraftvoll und schnell. Sein massiver Körper stemmt sich auf die Hinterbeine und erhebt sich. Seine Vorderpfoten strecken sich durch die Gitterstäbe. Ana Julia Torres will nach Hinten ausweichen. Sie lässt instinktiv die Gitterstäbe los und hebt die Hände schützend. Löwenpranken haben sich auf ihre Schultern gelegt und sie blickt unmittelbar auf das Maul des Raubtieres.

Während das Herz der Tierschützerin vor Schreck fast stehen bleibt, hat sich eine Zuschauertraube vor dem Gehege gebildet. Eine immense Gefahr in der die Frau hier feststeckt. Der Löwe hat sein Maul durch die Gitterstäbe gepresst und zieht mit seinen Pranken die Frau an sich heran.

13. Ein unfassbarer Schreck.

Inzwischen sind die Tierpfleger und der Zoomanager alarmiert. Doch sie können nicht eingreifen. Jupiter hat Frau Torres fest im Griff. Ihr Kopf befindet sich unmittelbar vor dem Maul des Raubtieres. Wir versuchen zu erahnen welche Panik sie ergreift.

Die Zoobesucher und das Tierparkpersonal schauen atemlos zu, wie der Löwe den Kopf der Frau immer wieder von einer Seite zur anderen zerrt. In diesem Moment kann keiner begreifen, was geschieht. Niemand kann eingreifen. Werden wir Zeuge, wie ein Löwe eine Frau angreift und verletzt? Ihr Gesicht zerfleischt? Die gebannten Zuschauer fragen sich, wie sich Frau Torres aus dieser Umarmung befreien will.

13. Löwenliebe.

Nach einigen Schrecksekunden zeigt sich ein anderes Bild. Der Löwe reibt sein Gesicht an der Wange von Frau Torres. Die Tierschützerin gräbt ihre Nase in seine Mähne. Ist all dies gar kein bedrohlicher Moment, sondern der Ausdruck einer innigen Beziehung? Hat Jupiter seine Lebensretterin erkannt und zeigt er ihr nun seine Verbundenheit und Dankbarkeit?

Ist das wirklich möglich? Die beiden haben sich acht Jahre lang nicht gesehen. Ein Löwe ist ein bedrohliches, gefährliches Raubtier. Eine liebevolle Deutung des Geschehens passt nicht in unser klischeehaftes Bild, das wir vom Verhalten von Raubtieren haben. Und doch scheinen Tier und Mensch diesen Augenblick zutiefst zu genießen.

15. Eine tiefe Verbundenheit.

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Die Besucher des Tierparks haben in der Zwischenzeit alle ihre Kameras und Handys gezückt. Jeder will diese bewegenden Momente festhalten. Auf diese Weise können auch wir nun Zeuge eines Raubtierverhaltens werden, das wir nicht für möglich hielten.

Seht euch einmal das Gesicht des Löwen an. Einen solchen weichen, zärtlichen Ausdruck kennt man nur von Liebenden. Es ist also möglich, dass ein Löwe nach acht Jahren seine Retterin wieder erkennt. Sein Gesichtsausdruck und seine Bewegungen sprechen noch eine andere Sprache. Fühlt der Löwe Dankbarkeit, Liebe, Verbundenheit? Ist dies möglich? Es scheint, wir müssen das vorurteilsbeladene Bild, das wir über Raubtierverhalten haben neu überdenken.

16. Eine einzigartige Beziehung.

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Ana Julia Torres besucht Jupiter nun in regelmäßigen Abständen. Sie genießt es eine wohl einzigartige Verbundenheit mit einem Löwen zu pflegen. Verhaltensforscher wissen, dass Geduld und Vertrauen im Umgang mit Raubtieren nötig sind. Unsere Tierschützerin hat viel in den Löwen investiert. Mut, Zeit, Zuwendung und Fürsorglichkeit. Nun kann Ana die Früchte ihres Tuns ernten.

Ist die Beziehung zwischen Frau Torres und Jupiter tatsächlich so einzigartig? Das relativ neue interdisziplinäre Forschungsfeld der „Human Animal Studies“, beschäftigt sich mit dem Bindungsverhalten zwischen Tier und Mensch. Katzen und Raubkatzen, so zeigt die Forschung, zeigen viele Gemeinsamkeiten im Verhalten auf. Eine sichere Bindung zu Menschen bauen demnach aber weder Katzen noch Raubkatzen auf.

17. Raubtier und Mensch.

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Auch dieser Mann hat einem Löwen das Leben gerettet. Völlig angstfrei nähern sich Tier und Mensch. Obwohl Raubkatzen und Katzen keine sichere, dauerhafte Bindung zu Menschen haben zeigen sie scheinbar dennoch ihre Dankbarkeit. Eine sichere Bindung brauchen diese starken Tiere auch nicht einzugehen, sie kommen ohne Menschen zurecht.

Der Umgang von uns Menschen mit Tieren ist ambivalent. Das Bild, das wir von einzelnen Tieren haben ist mit vielen Vorurteilen gespickt. Wir schreiben Tieren sogar menschliche Charaktereigenschaften zu. Die Geschichte von Frau Ana Julia Torres und Jupiter zeigt, dass uns unsere Tierliebe zu einem neu überdachten Verhältnis zwischen Mensch und Tier führen sollte.